
Quelle: privat
Die automatisierte chemische Synthese mit robotikgestützter Prozessführung und direkter Rückkopplung aus verschiedenen Charakterisierungsmethoden mit Hilfe maschinellen Lernens und künstlicher Intelligenz in einem „Self-Driving Lab“ eröffnet viele zukunftsträchtige Anwendungsgebiete, insbesondere auch im Bereich der Materialforschung, mit wichtigen Beiträgen zur Sicherheit in Technik und Chemie.
So kann ein automatisiertes Labor durch Einsatz maschinellen Lernens und künstlicher Intelligenz autonom Entscheidungen während des Syntheseprozesses treffen und dadurch gezielt und beschleunigt nach neuen Materialien mit verbesserten oder besonders wünschenswerten Eigenschaften suchen. Des Weiteren erlaubt eine automatisierte Prozessführung beispielsweise die reproduzierbare und standardisierte Herstellung und Entwicklung von Materialien, ohne dass Menschen dabei potentiell gefährlichen Chemikalien ausgesetzt sind, und arbeitet komplett mit reproduzierbaren, verlässlichen, und direkt nachvollziehbaren Prozessen, was insbesondere auch im Hinblick auf die „Reproducibility Crisis“ in den Naturwissenschaften und für die Referenzmaterialherstellung von großem Interesse ist. Sowohl reproduzierbare, ontologiebasierte Synthesen als auch Referenzmaterialien leisten wichtige Beiträge zur Sicherheit in Technik und Chemie, da durch sie sichergestellt ist, dass ein Mess- oder Syntheseverfahren zuverlässige Werte und Materialien liefert. Die Projektgruppe erweitert damit das Portfolio der Abteilung Analytische Chemie; Referenzmaterialien.
Team und Kooperationen
Das Thema bietet spannende Herausforderungen für Mitarbeitende mit unterschiedlichsten Hintergründen und Expertisen. Daher sind das Team, die Kooperationspartner*innen, und die Aufgabenstellungen sehr interdisziplinär, von synthetischen und analytischen Chemiker*innen hin zu Ingenieur*innen und Informatiker*innen, von der Ansteuerung und Systemintegration von Hardwarekomponenten in einen Automatisierungsworkflow bis hin zur Synthese und Charakterisierung der Eigenschaften von Nano- und Advanced Materials, von maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz für autonome Prozessführung bis hin zum Design neuer (oder der Verbesserung bekannter) Materialien mit neuen Eigenschaften die mehr Sicherheit in Technik und Chemie bieten.
Forschungsgebiete
Self-Driving Labs und Material Acceleration Plattforms
Unter “Self-Driving Labs” und „Material Acceleration Plattforms“ (übersetzt also in etwa „sich selbst steuernde Laboratorien“ und „Material-Beschleunigungsplattformen“) versteht man allgemein den kombinierten Einsatz von maschinellem Lernen, Laborautomatisierung und Robotik in der (Material-)Forschung und Wissenschaft. Konkret besteht ein solches Labor bzw. eine solche Plattform meist aus modularen Bausteinen, die – von einer künstlichen Intelligenz oder durch maschinelles Lernen gesteuert – autonom und iterativ eine Serie von Experimenten durchführen und die erhaltenen Materialien selbständig analysieren und anhand der so erhaltenen Ergebnisse deren Eigenschaften interpretieren und bewerten. Dies ermöglicht, dass ein solches System selbständig und gezielt in einer Rückkopplungsschleife Materialien mit gewünschten Eigenschaften suchen, herstellen oder verbessern kann. Dadurch werden Forschende dabei unterstützt, den nahezu unüberschaubar großen Raum möglicher Materialien und experimenteller Parameter ganz gezielt und in einer beschleunigten Art und Weise nach Materialien mit verbesserten oder besonders wünschenswerten neuen Eigenschaften zu durchsuchen.
Konkret beschäftigt sich die Projektgruppe mit der Synthese, Charakterisierung und Optimierung von Nano- und Advanced Materials mit Hilfe solcher Plattformen. Diese Materialien stellen oft eine besondere Herausforderung an die modularen Bausteine der Plattform für die Synthese, Aufreinigung und Analyse dar. Neben der Synthese und Optimierung solcher Materialien an sich beschäftigen wir uns daher zum einen auch mit dem Entwickeln von Software- und Hardwarekomponenten für die Einbindung und Steuerung der für die Herstellung und Charakterisierung dieser Materialklassen erforderlichen Komponenten, sowie deren Integration in eine Rückkopplungsschleife. Zum anderen finden Arbeiten zum Training, der Anwendung und dem Testen verschiedener Algorithmen des maschinellen Lernens und der künstlichen Intelligenz zur Analyse und Interpretation der Charakterisierungsergebnisse und zur gezielten Suche nach und Optimierung von Materialien mit gewünschten Eigenschaften statt. All dies dient dem Ziel, die Synthese, den Einsatz, und die Eigenschaften dieser Materialien sicherer und zuverlässiger zu machen.
Komplexe Nano- und Advanced Materials
Vereinfacht gesagt versteht man unter Nanomaterialien solche Materialien, deren Größe „im Nanometerbereich liegt“, wobei ein Nanometer gerade einmal einem Milliardstel Meter entspricht (also ca. 100.000 Mal dünner als ein menschliches Haar). Allein schon auf Grund dieser sehr geringen Größe können Nanomaterialien Eigenschaften aufweisen, die dasselbe Material nicht oder zumindest nicht in demselben Ausmaß besäße, wenn es stattdessen im Millimeter-, Centimeter- oder Meter-Maßstab hergestellt würde. Der Begriff der Advanced Materials wird allgemein noch weiter gefasst und nicht mehr an einer bestimmten Größe oder Abmessung festgemacht, sondern bezeichnet vielmehr Materialien, die durch gezieltes Design und Manipulation von anorganischen und organischen Substanzen auf unterschiedlichen Längenskalen (bis hinunter auf die molekulare Ebene) hergestellt werden und dadurch bewusst und gezielt mit Eigenschaften versehen werden können, die diejenige natürlich vorkommender Substanzen mitunter weit übertreffen. Auf Grund dieser Merkmale werden solche Materialien in den verschiedensten Bereichen eingesetzt, vom Gesundheitswesen bis zum Bausektor, für die Energiegewinnung und -Speicherung, im Mobilitäts- und Transportsektor, in der Telekommunikationsbranche, in Verbraucherprodukten, und vielen weiteren Bereichen.
Momentan beschäftigen wir uns zum einen mit der Synthese, dem Design, der Funktionalisierung und der Optimierung von Nano- und Advanced Materials die aktiv oder passiv auf bestimmte interne oder externe Stimuli reagieren und dadurch Anwendungen in (antimikrobiellen) Beschichtungen oder der Sensorik finden. Um dies zu erreichen sind häufig komplexe Architekturen notwendig, wie z.B. Kern-Schale Partikel oder Partikel, die eine speziell designte und definierte Oberflächenchemie aufweisen. Zum anderen arbeiten wir an der zuverlässigen und reproduzierbaren, automatisierten Synthese solcher Materialien für den Einsatz als Referenzmaterialien.
Schwerpunkte
- Synthese und Charakterisierung komplexer Nano- und Advanced Materials wie beispielsweise Kern-Schale Strukturen und Materialien mit unterschiedlicher Oberflächenchemie
- Aufbau und Design stimuliresponsiver Nano- und Advanced Materials, z.B. für Anwendungen in antimikrobiellen Beschichtungen oder in der Sensorik
- Durch Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz gestützte Algorithmen für die autonome Experimentplanung und -durchführung, sowie für die automatisierte Datenauswertung und -analyse1
- Reproduzierbare, verlässliche und nachvollziehbare Synthesen von Nanomaterialien, z.B. für den Einsatz als Referenzmaterialien
Referenzen
(1) Rühle, B., Krumrey, J.F. & Hodoroaba, VD. Workflow towards automated segmentation of agglomerated, non-spherical particles from electron microscopy images using artificial neural networks. Sci Rep 11, 4942 (2021). https://doi.org/10.1038/s41598-021-84287-6